Deutsche Diabetes Gesellschaft lädt zur Online-Jahrespressekonferenz
Stuttgart, Düsseldorf, Tübingen. – Eine Nachbesserung und rasche Umsetzung der Nationalen Diabetesstrategie und dass Menschen mit Diabetes trotz der Pandemie wichtige Arzttermine wahrnehmen – diese Forderungen prägten die Jahrespressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) am 2. März 2021. Die Präsidentin der DDG, Prof. Dr. Monika Kellerer, warb für die Vorteile eines Disease Management Programmes (DMP) Adipositas und erklärte: „Ein Chroniker-Behandlungsprogramm für Menschen mit Adipositas bedeutet: Die Menschen haben erstmals Zugang zu Behandlungen als Regelleistungen der Krankenkassen. Diabetesprävention, das muss man ganz klar sagen, können wir nicht erfolgreich umsetzen, wenn wir nicht auch Adipositasprävention betreiben.“
Umgerechnet mehr als 1.000 Menschen erhalten jeden Tag allein in Deutschland die Diagnose Diabetes mellitus, rechnete die Ärztliche Direktorin der Klinik für Innere Medizin I am Marienhospital Stuttgart vor. 90% davon haben Typ-2-Diabetes, und Adipositas begünstigt dessen Entstehung. „Menschen mit Adipositas haben ein sechs- bis zehnfach höheres Risiko für die Entwicklung eines Diabetes verglichen mit Normalgewichtigen“, verdeutlichte Kellerer. Hier einzuschreiten und Folgeerkrankungen vorzubeugen, helfe der körperlichen wie seelischen Gesundheit vieler Menschen.
Was sich schnell ändern sollte
Kellerer vermittelte die Forderungen der DDG an die Bundesregierung: Die Maßnahmen der Nationalen Diabetesstrategie (NDS), die der Bundestag im vergangenen Sommer beschlossen hat, sollten zügig umgesetzt werden – inklusive eines DMP Adipositas. Unter anderem müsse das Thema schon im Medizinstudium eine größere Rolle spielen als bisher. „Die Bundesärztekammer soll das Thema in Fort- und Weiterbildungen verankern, interdisziplinäre Versorgungsstrukturen zur Prävention und Behandlung von Adipositas sollen geschaffen werden“, ergänzte Kellerer. Ein DMP für Adipositas gebe Patienten Zugang zu einer kontinuierlichen, strukturierten und qualitätsgesicherten Behandlung – im Idealfall, bevor Folgeerkrankungen wie Typ-2-Diabetes sich manifestiert hätten.
Um Menschen aus dem Teufelskreis ungesunde Ernährung plus Bewegungsmangel – Übergewicht – Adipositas – Diabetes herauszuholen, muss aber noch mehr passieren. Maßnahmen zur Reduktion des Zuckerkonsums sollen laut Kellerer „in Gesetze gegossen werden und es müssen Taten folgen. Wir würden uns als DDG mehr Tempo in diesem Wahljahr wünschen!“
WHO-Forderungen umsetzen
Die Nationale Diabetesstrategie ist hinter den Erwartungen der Diabetes-Experten zurückgeblieben, was Maßnahmen angeht, die die WHO seit langem fordert, wie zum Beispiel
- eine erhebliche Zuckerreduktion in verarbeiteten Nahrungsmitteln
- ein Werbeverbot für ungesunde Kinderlebensmittel und
- die Besteuerung stark zuckerhaltiger Getränke.
Die bisherige Strategie, auf Freiwilligkeit von Seiten der Industrie zu setzen, habe offensichtlich keinen Erfolg gehabt. Kellerer nannte das Positiv-Beispiel Großbritannien, wo sich zeigte: Kaum waren zuckerreiche Getränke höher besteuert und damit teurer als andere Drinks, ging der Konsum stark zurück.
COVID-19 und Diabetes
Prof. Dr. Wolfgang Rathmann, Stellvertretender Direktor des Instituts für Biometrie und Epidemiologie am Deutschen Diabetes-Zentrum (DDZ) in Düsseldorf, widmete sich den Menschen, die mit Diabetes Typ 1 oder Typ 2 leben müssen – und dies in Zeiten von Corona gefährlicher tun als sonst. Denn „mit einem möglichst normnahen Zuckerstoffwechsel haben wir eine viel geringere Sterblichkeit bei einer Erkrankung an COVID-19“ – und in Zeiten, in denen viele Arzttermine ausfallen lassen oder aufschieben, aus Angst vor einer Ansteckung, komme es häufiger zu einer suboptimalen Blutzuckereinstellung.
Stabiler Blutzucker, höhere Genesungschance
Studien haben gezeigt, dass Menschen mit Diabetes mit konstant normalen oder lediglich leicht erhöhten Blutglukosewerten während eines COVID-bedingten Klinikaufenthalts ein sehr viel geringeres Sterberisiko hatten als Patienten mit schlechter Blutzuckerkontrolle und schlechten Werten. Darüber hinaus galt: Überhöhte Blutglukosewerte waren auch bei Menschen ohne zuvor bekannten Diabetes ein Risikofaktor für schwere COVID-19-Verläufe. Rathmann empfahl daher, bei stationärer Behandlung von Menschen mit COVID-19 den Nüchtern-Blutzuckers und die Kontrolle des Blutzuckerverlaufs zu messen, um das Risiko zu minimieren.
Rathmann wies auch darauf hin, dass sich jetzt schon abzeichnet, dass die Angst vorm Arztbesuch bei Menschen mit Diabetes gravierende Folgen haben kann: So habe sich in den pädiatrischen Zentren im Jahr 2020 ein erheblicher Zuwachs an schweren Ketoazidosen gezeigt, was darauf hinweise, dass Kinder mit Symptomen für Diabetes mellitus Typ 1 – u. a. ständiger Harndrang, mehr Durst und übermäßige Müdigkeit – später als sonst einer Diagnostik zugeführt wurden.
Da Erwachsene mit Diabetes auch häufiger Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben, sollten Herzsymptome auf keinen Fall auf die leichte Schulter genommen werden, ergänzte Rathmann: „Der Bundesverband niedergelassener Kardiologen berichtete, dass im letzten Jahr viele Patienten erst Termine absagten und später als Notfall behandelt werden mussten.“
Seinen Vortrag beschloss Rathmann mit einem klaren Ja zur COVID-19-Impfung für Menschen mit Diabetes mellitus.
Jugend mit Typ-1-Diabetes – fast alle Berufe möglich
Zwei sehr optimistisch stimmende Statements rundeten die Pressekonferenz ab. Prof. Dr. Andreas Neu, Vizepräsident der DDG, Komm. Ärztlicher Direktor an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Tübingen, berichtete: „Noch vor wenigen Jahren haben wir eine Reihe von Berufen genannt, die als gefährlich für Menschen mit Diabetes erachtet wurden. Heute gibt es nur ganz wenige Einschränkungen. Es gibt weniger Arbeitsunfälle bei Menschen mit Diabetes, das zeigen die Krankenkassendaten von 2017, und zwar für die orale und die Insulintherapie gleichermaßen.“ Selbst eine Karriere als Pilotin, Polizist, Taucherin oder Dachdecker sei prinzipiell möglich.
Eine Patientin berichtete von ihren Erfahrungen. Elisabeth Mikulin (25), deren Diabetes-Diagnose 19 Jahre zurückliegt, hatte als Schülerin von Prof. Neu noch die Auskunft bekommen, dass eine Arbeit beim Zoll – mit einer Dienstwaffe – mit Typ-1-Diabetes nicht infrage komme. Mikulin erzählte: „Mich hat das aber nicht losgelassen, ich habe mich weiter informiert und erfahren, dass der Zoll auch nichtwaffentragende Tätigkeitsbereiche hat.“ Beim Bewerbungsgespräch sprach sie offen über ihre Erkrankung und auch darüber, dass sie wisse, dass die Kombination Dienstwaffe und Diabetes „so nicht funktioniert“. Zu ihrer Überraschung erklärte ihr jedoch einer der Prüfer: „Frau Mikulin, das ist ein Trugschluss! Wenn der Amtsarzt Sie als körperlich und psychisch geeignet bewertet, steht dem nichts im Wege!“ Dieser Prüfer zeigte ihr sein eigenes Blutzuckermessgerät und gab sich selbst als Diabetes-Patient zu erkennen. Mikulins Weg in den Traumberuf stand nichts im Wege. „Ich ging mit dem Thema immer offen um“, sagt sie heute, „jeder wusste, dass ich Diabetes habe. Durch den Sensor gibt es auch ein äußerliches Merkmal. Diabetes erfordert Disziplin, Selbstkontrolle ist notwendig – wenn man diese hat, stehen einem alle Türen offen!“ Foto: diabetesmagazijn-nl, Unsplash
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