Prof. Dr. Jan P. Tuckermann stellt Forschungsansatz vor
Vielleicht ist es in wenigen Jahren möglich, die niederschwelligen chronischen Entzündungen im Körper, die Diabetes Typ 2 auslösen, schnell und nebenwirkungsarm zu bekämpfen. Das stellte Professor Dr. rer. nat. Jan P. Tuckermann, Leiter des Instituts für Molekulare Endokrinologie der Tiere an der Universität Ulm und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) in Aussicht. Die DGE lässt ihre 5. Deutsche Hormonwoche diesmal ausschließlich im Internet stattfinden und lud vorab zur Pressekonferenz ein.
Ein Teufelskreis beginnt
Tuckermann beschrieb einen Weg zu Diabetes Typ 2: „In den letzten Jahren wurde entdeckt, dass in metabolisch aktiven Geweben, auch im Fettgewebe, niederschwellige chronische Entzündungen stattfinden. Makrophagen –also Fresszellen, die eigentlich bei der Abwehr von Krankheitserregern und bei der Reparatur von Verletzungen eine Rolle spielen – werden dazu angeregt, sich zu vermehren, Fettzellen aufzulösen und reagieren dann auf freigelöste Fettsäuren. Dabei werden Entzündungsmediatoren freigesetzt und mehr Zellen des Immunsystems angelockt. Diese niederschwellige chronische Entzündungsreaktion führt dazu, dass das Insulin nicht mehr so gut wirkt.“ Die Bauchspeicheldrüse produziert erst immer mehr Insulin, ist dann aber irgendwann erschöpft. Der Patient, die Patientin hat nun Typ-2-Diabetes.

Entzündungshemmende Medikamente brachten bisher keine durchschlagende Wirkung, Kortison zum Beispiel unterdrückt das gesamte Immunsystem und beeinflusst die Funktion von Fettzellen so, dass es Diabetes sogar fördert. „Aber jetzt“, berichtete Tuckermann, „bringen wir im Tierversuch Entzündungshemmer wie Kortison direkt zu den Fettzellen, und im Tiermodell wirkt das schon ganz gut.“ Das Immunsystem leistet dann weiterhin volle Arbeit und der Entzündungshemmer wirkt nur auf bestimmte Schaltzellen im Gehirn oder Makrophagen.
Mit künstlichem Kortison-Derivat die Insulinresistenz stoppen
So kann das künstliche Kortison-Derivat Dexamethason an ein Hormon gekoppelt werden, das weitgehend im Hypothalamus wirkt. Dann ist trotz ungesunder Ernährung eine geringere Gewichtssteigerung und eine Verringerung der Insulinresistenz möglich – und Diabetes unwahrscheinlicher. Bei Mäusen funktionierte das bereits. Tuckermann verdeutlichte: „Das heißt, auf den Ort der Wirkung von entzündungshemmenden Hormonen kommt es an. Eine direkte Wirkung auf die Fettzellen ist eher schädlich und fördert Diabetes, aber eine spezifische Wirkung auf bestimmte Bereiche im Gehirn oder Makrophagen könnte ein vielversprechender Ansatz sein. Ob am Ende des Tages Zell- und Gewebe-spezifisch wirkendes Kortison oder vielleicht ganz andere Modulatoren des Immunsystems die Diabetesentstehung wirksam angehen werden, wird die Zeit zeigen.“
Noch ist dieser Forschungszweig, genannt Immuno-Metabolismus-Forschung, „ganz weit weg vom Patienten“, wie Tuckermann einräumte. Auch solle klar sein, dass diese Therapie nicht alle anderen ersetze, sondern flankierend wirke. Eine ausgewogene, anti-entzündliche Ernährung und Bewegung spielten weiter eine große Rolle in der Prävention und Behandlung des Typ-2-Diabetes.
Dennoch mache die Geschwindigkeit, in der gerade COVID-19-Medikamente entwickelt und getestet werden, Hoffnung darauf, dass auch die gezielte Entzündungsmodulation gegen Diabetes Typ 2 schneller möglich sein könnte, als derzeit viele denken.
Weitere Infos zur Hormonwoche und spannenden endokrinologischen Studien: https://www.endokrinologie.net/
Die erwähnte Mäuse-Studie findet sich hier: Quarta C., et al: Cell Metab. 2017;26(4):620-63, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1550413117305508